So kannst du hochsensible Kinder unterstützen!
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Hochsensible Kinder unterstützen – Teil 1
In diesem Beitrag erfährst du, warum Vergleiche deinem hochsensiblen Kind schaden, weshalb hochsensible Kinder öfter verglichen werden als durchschnittlich sensible Kinder und wie du dein hochsensibles Kind stattdessen hilfreicher unterstützen kannst.
Gerade bei Kindern können Vergleiche einen prägenden negativen Grundstein für ihr Selbstbild legen, welches sie ihr ganzes Leben prägt. Genauso machen wir Großen uns das Leben schwer, wenn wir uns vergleichen. Auch wenn der Beitrag über den Umgang mit hochsensiblen Kindern handelt, bekommst du viele Impulse für dich. Denn dieses Thema ist letztendlich keine Frage des Alters.
Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.
(Søren Kierkegaard dänischer Philosoph, Theologe und Schriftsteller)
Der Vergleich wird oft schon in die Wiege gelegt
Gerade im Baby- und Kleinkindalter neigen wir dazu, unsere Kinder mit anderen zu vergleichen. Für viele aus der Sorge heraus, dass ihr Kind sich nicht altersgerecht entwickelt. Ein anderes Kind aus der Krabbelgruppe sitzt schon seit zwei Monaten, das eigene Kind macht noch gar keine Anstalten. Das kann schon verleiten, das eigene Kind öfter hinzusetzen, um das Sitzen zu üben. Babys setzen sich von sich aus hin, wenn ihr Skelett und die Muskulatur weit genug entwickelt sind. Vorher zu sitzen, ist eine Überforderung. Zu frühes häufiges Sitzen kann zu späteren Haltungsschäden führen. Aus diesem Grund ist auch allzu langes Liegen in einer Babywippe, Babyhopser oder das zu frühe Sitzen im Hochstuhl (auch wenn das Kind mit Kissen abgestützt wird) nicht empfehlenswert.
Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht
Dieses ist ein körperliches Beispiel, es lässt sich aber genauso auf die psychische Entwicklung des Kindes übertragen.
Wie kann ich ein hochsensibles Kind hilfreich unterstützen?
Bevor ein Baby sitzen kann, muss es den Kopf sicher halten und sich rollen können. Außerdem muss es auch noch das Wippen beherrschen. Hierfür braucht das Baby Freiraum, die Möglichkeit, sich ungehindert bewegen zu können.
Das Baby wird motiviert, wenn auch kleine Erfolge gefeiert werden, wenn wir uns sichtbar freuen über die vielen Versuche. Auch oder vielleicht gerade, wenn sie nicht gelingen. Der Weg ist das Ziel. Das Baby lernt so: Hey, es ist ok zu versuchen und wenn es nicht klappt, ist es auch ok. Es lernt in seinem Tempo, ohne den Druck, den Ansprüchen anderer genügen zu müssen. So bekommt es ein gutes Gespür dafür, wie es seine Kräfte angemessen einsetzt.
Unser Selbstbild prägt unser Leben
Schon in diesem frühen Alter beginnt das Kind, sein Selbstbild zu entwickeln. Es spürt, was in seiner Welt erwünscht ist und was nicht. Es lernt Selbstwirksamkeit und dass es viele Versuche braucht, um etwas zu schaffen. Jedes Mal, wenn wir unser Kind aufsetzten, um ihm zu „helfen“, ist die Chance auf die Lernerfahrung vertan, es selbst geschafft zu haben. Wenn das häufig genug passiert, bekommt das Kind ein Selbstbild mit der Überzeugung: „Ich bin nicht in der Lage, es selbst zu schaffen!“
Der direkte verbale Vergleich prägen sich tief ein
Gerade im Babyalter gibt es da viele Vergleichsmöglichkeiten. Der erste Schritt, das Sprechen, die ersten Zähnchen. Manche Babys werden ständig verglichen. Manchmal sogar in direkter Ansprache.
Macht das Vergleichen wirklich Sinn?
Stelle dir einmal 10 beliebige Freunde, Bekannte oder Arbeitskollegen vor. Wann konnten sie sitzen? Mit welchem Alter liefen sie ihre ersten Schritte? Wer von ihnen hat als erstes durchgeschlafen und wer war als erstes trocken? Weißt du nicht? Könnte es sein, dass es letztendlich gar nicht so wichtig ist, wer, was, wann konnte. Letztendlich hat sich jeder im eigenen Tempo entwickelt und ist groß geworden. Nach den alten Vergleichen kräht heute kein Hahn mehr.
Jedes hochsensible Kind ist anders
Und bitte verstehe mich richtig. Natürlich ist es wichtig, die Entwicklung eines Kindes im Auge zu behalten. Hierfür gibt es Tabellen zur Orientierung und viele Fachleute, wie Ärzte in Vorsorgeuntersuchungen, geschulte Erzieherinnen, die ein Auge auf dein Kind haben, wenn es wirklich in einem Bereich Unterstützung braucht. Der Vergleich mit anderen Kindern ist hierfür aber nicht hilfreich. Kinder sind so verschieden. Meine Tochter war noch keine zwei und hat sich in umfangreichen Schachtelsätzen ausgedrückt, dafür fing sie erst mit einem Jahr und 8 Monaten an zu laufen. Jedes Kind hat seine eigenen Stärken. Ich erlebe es in meiner Arbeit, dass der Vergleich mit anderen viele Eltern extrem unter Druck setzt. Und dieser kommt auch auf unterschiedlichster Weise bei den Kindern an.
Direkte Vergleiche erzeugen Scham und Schuld
Ich war mit meiner zweijährigen Tochter beim Kinderturnen. Wie die meisten hochsensiblen Kinder konnte sie sich schon sehr früh äußerst differenziert ausdrücken.
Eine andere Mutter sagte zu ihrem gleichaltrigen Kind: „Die kann schon so gut sprechen, und warum sagst du nichts?“ Das Kind schaute beschämt zu Boden. Es tat mir im Herzen leid und ich stammelte nur: “Na dann kann es dafür andere Sachen ganz toll.“
Vergleichen als generationaler Kreislauf
Einige Zeit später besuchten wir diese Familie, weil unsere Kinder spielen wollten. Die Mutter erzählte mir, dass sie selbst gerade erst ein Burn-out hinter sich hatte. Sie konnte sich mit ihren eigenen, für mein Empfinden sehr hohen Ansprüchen, nicht genügen. Dabei ging sie extrem hart mit sich ins Gericht. Sie schilderte, dass sie es ihren Eltern nie rechtmachen konnte und sie bis heute noch massiv darunter leide, weil sie das Gefühl hat, nie genügen zu können. Während sie das alles erzählte, gab es drei Situationen, in denen sie ihr Kind grob abwertend beurteilte. Zwei Mal direkt und einmal im Gespräch, das ihr Kind mithörte. Für mich zeigt sich hier ein tragischer Kreislauf. Dieser wird sich ohne Hilfe von außen kaum auflösen.
Was kann dir aus dem eigenen Kreislauf helfen?
Wenn du dich in dieser Schilderung wiederfindest, vergleichst du dich vielleicht gerade wieder mit anderen Eltern, begleitet von einem Gefühl von Scham und Schuld. Das ist sehr nachvollziehbar aus deiner Geschichte heraus, nutzt aber niemandem. Weder deinem Kind noch dir. Ihr beide braucht jemanden, der euch liebevoll unterstützt, wohlwollend, gerade, wenn es noch nicht so klappt. Zum Beispiel jemand, der Marte Meo (= aus eigener Kraft) praktiziert, könnte euch unterstützen, den Blick auf eure Stärken zu lenken, ein positives Selbstbild zu festigen und euch liebevoll in dem Veränderungsprozess begleiten.
Hochsensible Kinder werden oft mehr verglichen
Nach meiner Beobachtung werden die Vergleiche im Grundschulalter weniger, weil in dieser Zeit die Geschwindigkeit der offensichtlichen Entwicklung nachlässt. Und die Kinder ihre Fähigkeiten mehr angeglichen haben.
Für hochsensible Kinder dauert diese Phase allerdings häufig länger. Weil sie durch ihr Bedürfnis zu beobachten in neuen Situationen zurückhaltender sind und mehr Rückversicherung durch ihre Bezugspersonen brauchen.
Begleiten, nicht fighten
Ein großer Sorgenpunkt der Eltern ist zum Beispiel, dass ihre Kinder an der Kasse nicht bezahlen mögen. Hier hilft das Motto: begleiten, nicht fighten. Sobald du mit deinem Kind in den Kampf gegen seine Ängste gehst, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Angst noch wächst, viel größer. Das ist bei uns Erwachsenen ja auch nicht anders.
Hochsensible Kinder brauchen mehr Hinwendung
Ich habe meine Tochter noch zum Kinderturnen begleitet, als alle anderen Kinder ihres Alters schon alleine da waren. Auf Geburtstagen war ich die einzige Mutter, die noch einige Zeit länger anwesend war. Mir war es wichtig, meine Tochter in Situationen zu unterstützen, die sie überforderten und ihr die Erfahrung zu ermöglichen, dass sie sicher die fremde Situation meistern kann. Meine Divise war dabei, greifbar zu sein, aber mich immer so viel wie möglich zurückzunehmen. So fiel es ihr leicht, trotz meiner Anwesenheit Kontakte zu knüpfen. Ich blieb so lange, bis sie mir signalisiert hat, dass ich gehen kann. Hochsensible Kinder sind häufig ängstlicher als durchschnittlich sensible Kinder, da sie schon früh einen Blick für Gefahren haben. Wenn ich versucht habe, sie zu etwas zu überreden oder zu drängen, hat das nie geklappt. Sie geriet dadurch eher noch mehr in Stress.
Angst kann man nicht wegreden!
Nach einem Hundebiss im Gesicht hatte sie eine Höhenangst entwickelt. Auch Rolltreppen, die sie vorher geliebt hatte, wollte sie nicht mehr fahren. Sobald wir versucht haben, ihr Verhalten zu pushen, ging gar nichts mehr. Eines Tages wollten wir auf einen Kirchturm steigen. Nach der ersten Begeisterung holte sie ihre Angst wieder ein und sie wollte nicht mehr weiter. Jegliches Pushen, es doch mal zu versuchen und ähnliches, verstärkte ihre Anspannung. Sobald ich sagte „kein Thema, du bestimmst, ob und wie hoch du gehst, und ich bin da und unterstütze dich“, beruhigte sie sich sofort. Wichtig ist, das ohne eine Spur von Vorwurf oder Genervtsein zu tun. Schritt für Schritt schaffte sie es in ihrem Tempo bis ganz nach oben. Und das ist grundsätzlich so. Wenn wir uns in angespannten Situationen zurücknehmen, ihr anbieten, sie zu unterstützen und sie in ihrem Tempo machen lassen, wächst sie über sich hinaus.
Auch hier ist wieder der Grundsatz: begleiten, nicht fighten.
Vergleiche schwächen das hochsensible Kind
Wenn ich sie in solch einer Situation pushe und sie noch mit anderen Kindern vergleiche, die keine Angst haben, kommt zu der Angst noch ein Schamgefühl. Unterstützt das unser Kind in irgendeiner Weise positiv? Würde uns der Vergleich wirklich unterstützen?
Hochsensibilität und Konkurenz
Es gibt Menschen, die solch eine Konkurrenz anspornt. Das trifft auf HSK, das steht für hochsensible Kinder, aber in der Regel nicht zu. Hochsensible Kinder meiden in der Regel Konkurrenzkämpfe.
Kinder brauchen "NUR" genügend gute Eltern
Und auch hier wieder, trotz allem fachlichen Wissen, gibt es Momente, wo ich es total verkacke. Wir müssen nicht perfekt sein. Es reicht aus, genügend gut zu sein. Jedes Mal, wenn es mir gelingt, sie wahr und ernst zu nehmen und ihr ihren Raum zur Entwicklung zu geben, ist das ein Pluspunkt für das Selbstbild und den Selbstwert meiner Tochter.
Es gibt aber noch eine weitere Herausforderung in Bezug auf Vergleiche
Auch wenn es uns schon mehr gelingt, nicht zu vergleichen und unserem Kind seinen Freiraum zu lassen, gibt es immer noch die anderen Erziehungsexperten und die können gnadenlos sein.
Wenn andere das hochsensible Kind vergleichen
- Die Oma, die immer wieder fragt, ob das Kind schon allein oder durchschläft. Die Freundin, die dauernd erzählt, dass ihr Kind schon viel früher trocken war, und dass es doch jetzt endlich Zeit für das Töpfchen-Training wäre.
- Die Schwiegereltern, die mit besorgtem, manchmal sogar abfälligem Blick betonen, dass du nicht gleich springen solltest, wenn das Baby weint. „Du verwöhnst es viel zu sehr, es wird dir später auf der Nase rumtanzen!“
- Die eigenen Eltern, die immer wieder Spitzen loslassen, du seist nicht streng genug, weil das Kind nicht „pariert“. Gleichzeitig die Grenzen, die du deinem Kind setzt, wie weniger Süßigkeiten oder kein Fernsehen, nicht einhalten.
- Und nicht zu vergessen die anderen Eltern. Eine besondere Spezies. Eltern wissen immer ganz genau, wie andere Kinder erzogen werden sollten. Das natürlich gerne auch tuschelnderweise mit anderen Eltern, man will ja nichts sagen!!!
Verglichen werden kostet Kraft
Die Beispiele sind sehr harsch beschrieben, aber es spiegelt die Erlebniswelt vieler Eltern aus meinen Seminaren wider. Sie bemühen sich, ihr Kind in seiner Wahrnehmung ernst zu nehmen, sich seinem Entwicklungsstand anzupassen, ihm Freiräume für eigene Erfahrungen und Entwicklung zu geben und erleben diese Situation mit anderen wie in einer Kampfarena. Es kostet sie wahnsinnig Kraft, wenn es ihnen selbst oder ihren Partnern oder Partnerinnen schwer fällt, sich abzugrenzen. Manchmal treffen sich auch diese unterschiedlichen Erziehungsvorstellungen innerhalb einer Partnerschaft wieder und das kann diese auf eine harte Probe stellen. Nicht selten gelangt dann auch noch das Kind zwischen die Fronten.
Wenn es uns dann auch noch schwerfällt, eigene Grenzen zu setzen, oder wir unsicher sind, können solche Aussagen noch lange im Kopf rumschwirren und uns nervlich stark belasten.
Persönliche Erfahrungen – der "Mehraufwand" lohnt sich
Ich gehe davon aus, dass einige Eltern auch mich als überfürsorglich wahrgenommen haben. Als eine Mutter, die ihr Kind viel zu stark betüddelt. Und auch von Familienangehörigen kam der ein oder andere Zweifel an diesem Vorgehen. Dass sie so ja lernen würde, dass sich alles nur um sie dreht. Dass sie so verweichlicht. Aber das Gegenteil ist der Fall.
Sie ist ein sehr soziales Kind, das zwar gerne über ihren Standpunkt diskutiert, aber absolut kompromissbereit ist. Sie ist äußerst selbstständig und kontaktfreudig. Mit 10 Jahren ist sie alleine für 10 Tage in ein Sprachcamp gefahren und im Hydepark in alle Karussells. Allen Unkenrufen zum Trotz.
Sie ist immer noch sehr vorsichtig, kann aber ihre Fähigkeiten sehr gut einschätzen. Und in ihrem Tempo schafft sie alles, was sie will. Solange wir sie nicht drängen.
Fazit
Keiner kennt dein Kind besser als du. Gib ihm so wenig Unterstützung wie möglich, aber so viel wie nötig. Denke daran: begleiten, nicht fighten. Es ist egal, was andere Kinder können oder nicht können. Jedes Kind hat sein eigenes Tempo. Auch du hast dein eigenes Tempo. Sei liebevoll zu dir, wenn du bemerkst, dass du dein Kind vergleichst. Gönne dir Ehrenrunden. Dieses Mal hast du es vielleicht verkackt, beim nächsten Mal klappt es. Du musst nicht perfekt sein, es langt, genügend gut zu sein.