Sollten Hochsensible sich outen

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Sollten Hochsensible sich outen? In meiner Arbeit erlebe ich es häufig, dass Hochsensible unsicher sind, ob und wie sie ihre Hochsensibilität kommunizieren sollen. Fast in jedem Seminar wird die Frage gestellt, ob man sich als hochsensibel outen sollte und wenn ja, wie? In diesem Beitrag bekommst du Antwort auf eben diese Fragen und Tipps, wie du konstruktiv deine Bedürfnisse mitteilen kannst.

Sollten Hochsensible sich outen? Jain!

Es gibt drei wichtige Faktoren, die bestimmen, ob es hilfreich ist, sich zu outen. Die Motivation, die Art und Weise und das Ziel.

Um das zu verdeutlichen, schildere ich zu Beginn meine Beobachtungen zu verschiedenen Vorgehensweisen, danach meine persönlichen Erfahrungen mit konkreten Tipps, wie und wann es hilfreich ist, sich zu outen.

Wenn die Hochsensibilität nicht thematisiert wird

Ich erlebe, dass Menschen sehr verschieden ihre Hochsensibilität kommunizieren. Die einen sprechen gar nicht darüber. Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich:

  • Sie finden es nicht der Rede wert.
  • Es ist ihnen unangenehm, da sie die Hochsensibilität als Makel betrachten.
  • Sie haben Angst, den Eindruck zu vermitteln, sie wären etwas Besseres.
  • Sie befürchten, jemand könnte sich daraufhin von ihnen abwenden.
  • Es ist ihnen wichtig, keine Angriffsfläche zu bieten.
  • Sie haben negative Erfahrungen mit den Reaktionen von anderen gemacht. Zum Beispiel wurden ihre Aussagen ins Lächerliche gezogen. Sie haben einen „Stempel“ bekommen. Ihre Aussagen wurden ignoriert. Was auch ein sehr unangenehmes Gefühl auslösen kann.

Wenn die Hochsensibilität sehr offensiv thematisiert wird

Dann gibt es Menschen, die sehr offensiv kommunizieren, dass sie hochsensibel sind. Sie tragen die Hochsensibilität wie einen Schutzschild und manchmal wie einen Speer vor sich her. Der Schutzschild wird getragen im Sinne: „Ich bin hochsensibel, tu mir nichts!“ Dieses Vorgehen hat nach meiner Beobachtung allerdings einige Nachteile. Es hält uns in der Opferrolle.

Typische Aussagen sind hier:

  • Die anderen nehmen nie Rücksicht auf meine Sensibilität.
  • Ich bin so empathisch, ich kann die schlechten Stimmungen anderer nicht aushalten.
  • Die Welt ist viel zu schnell, laut und gefühlskalt.

Eine Opferhaltung lässt uns ohnmächtig fühlen

Wenn ich diese Aussagen aus einer Opferhaltung sage, lege ich die Verantwortung in die Hände der anderen oder der Umstände. Das fördert das Gefühl, ohnmächtig und ausgeliefert zu sein.

Diese Ohnmacht kann uns dermaßen lähmen, dass wir Menschen und Situationen immer häufiger aus dem Weg gehen. Manchmal sind wir auch gedanklich schon im Voraus so damit beschäftigt, wie die Hochsensibilität uns einschränkt, dass wir, wenn es denn ernst wird, schon ganz erschöpft sind.

Die Hochsensibilität mit Arroganz kommunizieren

  • Wie kann man nur so unsensibel sein?
  • Diese Kopfmenschen sind doch total gefühllos.
  • Durchschnittlich Sensible sind doch alle grenzüberschreitend, laut, rücksichtslos und wollen sich nur in den Mittelpunkt stellen.

Eine Haltung, die Konflikte schürt

Wir tragen dann die Hochsensibilität mit einer gewissen Arroganz. Das fühlt sich kurzfristig zwar besser an, weil dieses Vorgehen eher ein Machtgefühl generiert, mittel- und langfristig hat das jedoch seinen Preis. Nach meinen Beobachtungen führt diese innere Haltung häufig zu Konflikten. Es kommt immer wieder zu Freundschaftsabbrüchen, weil die anderen sich unzumutbar verhalten und auch die Beziehungen gestalten sich in der Regel schwer.

Schild und Speer als Überlebensstrategie

Schild und Speer sind meines Erachtens letztendlich Überlebensstrategien, die als Traumafolge entstanden sind. Sie haben uns in der Kindheit über Wasser gehalten, waren überlebenswichtig. Heute machen sie uns aber das Leben schwer. Sich dieser Strategie bewusst zu sein, ist nach meiner Erfahrung der erste Schritt, um auch andere Wege gehen zu können.

Wenn wir auf der falschen Fährte sind

Spannenderweise sind gerade die Menschen, die die Hochsensibilität so nach außen tragen, häufig gar nicht hochsensibel im eigentlichen Sinne. Und das bringt ihnen noch zusätzlich Leid. Sie werfen sich vor, dass sie die Hochsensibilität nicht als Geschenk annehmen können, wie es gerne propagiert wird. Entweder weil sie das Gefühl haben, grundlegend minderwertig zu sein oder weil sie denken, dass die Welt sie total verkennt und sie eigentlich auf ihr fehl am Platze sind.

Schlechte Erfahrungen mit dem Outen der Hochsensibilität

Viele meiner Kunden erzählen mir, dass sie eher negative Erfahrungen mit dem Outen gemacht haben und das liegt nach meiner Beobachtung häufig daran, dass sie sich oder ihr Verhalten mit der Hochsensibilität entschuldigen. Und das auch mit einem Gefühl, schwach zu sein. Sie entschuldigen nicht nur ihr Verhalten, sie entschuldigen sich für ihr Sein und machen sich klein. Leider bewirkt dieses Verhalten nicht den gewünschten Effekt der Akzeptanz. Die Menschen neigen dann eher dazu:

  • die Aussage ins lächerliche zu ziehen
  • gut gemeinte Tipps um die Ohren hauen à la – „Du musst dich doch nur zusammenreißen.“ „Spring doch mal über deinen Schatten.“ 
  • abfällige Bemerkungen loszulassen
  • Vorwürfe zu äußern, man solle sich nicht so wichtig nehmen.
  • uns einen Psychostempel aufzudrücken.

Was solltest du beim Outen beachten?

Schaue dir als erstes deine innere Haltung an, wenn du von deiner Hochsensibilität berichtest. Nimmst du dich auf Augenhöhe wahr? Spürst du dabei eine gewisse Überlegenheit oder ist das Gefühl eher mit Scham und/oder Schuld besetzt?

Auswirkungen, wenn wir glauben, falsch zu sein

Gerade, wenn wir im Kindesalter nicht die notwendige Unterstützung bekommen haben, wenn von uns erwartet wurde, dass wir uns zusammenreißen, wenn unser Verhalten immer als falsch beurteilt wurde, lebt häufig in uns die bewusste oder unbewusste Überzeugung, falsch zu sein. Und wenn wir den Erwartungen von außen nicht entsprechen können, entstehen in uns Emotionen von Schuld und Scham. Das spiegelt sich auch darin wider, dass in diesem Zusammenhang von einem Outing gesprochen wird. Mal ganz davon abgesehen, dass es sich hier ja eigentlich um ein Coming out handelt, ist das Wort Outing wahrscheinlich auch ein Spiegel der inneren Wahrnehmung der Situation.

Hochsensibilität positiv betrachtet

Die Hochsensibilität ist eine Charakterausprägung. Sie hat viele Facetten und dennoch ist sie nur eine Charakterausprägung. Üblicherweise sind hochsensible Menschen rücksichtsvoll, Grenzen wahrend und freundlich. Sie sind sozial äußerst kompetent und haben ein starkes ethisches Bewusstsein. Gerade in der heutigen Zeit wichtige Fähigkeiten, die sich sehen lassen können.

Wie ich meine Hochsensibilität kommuniziere

Ich selbst erzähle eigentlich kaum von meiner Hochsensibilität, obwohl sie ja auch noch einen zentralen Punkt meiner Arbeit ausmacht. Für mich ist es nicht wichtig, dass die Menschen wissen, dass ich hochsensibel bin. Ich finde allerdings sehr wichtig, meine Bedürfnisse zu kommunizieren.

Der Schlüssel liegt im klaren Kommunizieren der Bedürfnisse

Wenn ich mit Freunden ein Restaurant suche und es ist mir beim Eintreten zu laut, sage ich: „Hier reden zu viele Menschen durcheinander. Wenn wir uns hier hinsetzen, kann ich der Unterhaltung gar nicht folgen und ich möchte mich gerne richtig mit euch unterhalten können.“ Und dann suchen wir ein Lokal, das besser passt. Ich entschuldige mich nicht, sondern informiere über meine Bedürfnisse. Und hatte damit noch nie Schwierigkeiten. Ich gehe ja auch nicht als Vegetarierin in ein Lokal, indem es nur Fleischprodukte gibt.  Gleichzeitig gehe ich auch nicht in ein vegetarisches Restaurant, wenn jemand Fleisch essen möchte. Es wird halt so lange nach Kompromissen gesucht, bis alle sich wohlfühlen. Und wenn alle ihre Bedürfnisse benennen, geht das auch schnell und dauert nicht ewig, wie häufig befürchtet wird.

Weitere Beispiele:

  • Ich bin jetzt schon zwei Stunden bei dir und ich genieße es sehr. Gleichzeitig merke ich, dass meine Akkus alle sind. Wenn ich jetzt nicht nach Hause gehe, bin ich morgen den ganzen Tag total platt. Ich freue mich auf eine Wiederholung.
  • In Gruppen bin ich so auf Sendung, da tut es mir gut, mich in den Pausen etwas zurückzuziehen und meinen Eindrücken nachzugehen.
  • Ich bin gerade nervlich sehr angespannt. Ich gehe mal 10 Minuten raus, dann kann ich runterfahren und du bekommst nicht meinen Stress ab.
  • Ich bin sehr schmerzempfindlich. Erfahrungsgemäß muss die Betäubung bei mir länger wirken, damit ich beim Bohren nichts merke.
  • Nein danke, ich mag keinen Kaffee, aber ich freue mich über ein Glas Wasser oder Kräutertee.
  • Ich brauche zwischenzeitlich immer mal Zeit allein, damit ich das Zusammensein richtig genießen kann.

Bedürfnisse sind nicht diskutierbar

Wichtig ist, dass du über deine Bedürfnisse informierst. Du gibst eine Kurzanleitung. Und diese steht nicht zur Diskussion. Deine Bedürfnisse haben den gleichen Stellenwert wie die der anderen. Wenn du das aus dieser Haltung machst, diskutiert auch keiner. Das ist am Anfang vielleicht gar nicht so leicht. Übung macht den Meister. Gönne dir Ehrenrunden, wenn es mal nicht so klappt.

Bereite dich vor

Dir fällt es schwer, deine Bedürfnisse zu benennen?  Dann mach es dir leichter, indem du dir für typische Situationen schon Formulierungen zurechtlegst, die für dich passen. Wenn du zwar weißt, was du nicht willst, aber dir nicht klar ist, was du konkret willst, frage dich: „Was möchte ich stattdessen?“ Das hilft dir, deine Bedürfnisse rauszufinden.

Frage dich:

Was möchtest du mit deinem Outen erreichen? Dass andere Rücksicht nehmen? Dass sie dich besser verstehen? Dass sie deine wahre Stärke anerkennen?

Das wirst du in der Regel nur bekommen, wenn du auf Augenhöhe kommunizierst. Und das heißt, über Bedürfnisse informieren. Erklärungen, noch dazu, wenn sie aus einem Gefühl von Scham und Schuld oder Arroganz gegeben werden, bewirken eher das Gegenteil.

Tipps, wie du generell über deine Hochsensibilität informieren kannst

Manchmal kann es auch hilfreich sein, über deine Hochsensibilität zu informieren. Zum Beispiel bei Freunden, Kollegen, in der Familie oder wenn du jemanden kennen lernst, freundschaftlich oder partnerschaftlich.

Ich lade dich ein, das mit der gleichen Selbstverständlichkeit zu erzählen, die du an den Tag legst, wenn du über deinen Lieblingsort erzählst; einfach als einen Teil, der dich ausmacht.

Du könntest sagen:

„Ich bin hochsensibel. Das trifft ungefähr auf jeden Zehnten zu. Hochsensible Menschen sind empathisch und gefühlvoll. Außerdem sind sie leichter empfänglich für Sinnesreize als durchschnittlich sensible Menschen. Deswegen passe ich gut auf meinen Stresspegel auf, damit ich meine Akkus nicht völlig leer fahre.“

Und auch hier gilt wieder. Informiere auf Augenhöhe. Ich habe immer die Erfahrung gemacht, dass die Menschen dann interessiert nachfragen und es ergeben sich dadurch sehr spannende und tiefe Gespräche.

Das liegt auch daran, dass ich die Menschen vorher beobachte. Es gibt Menschen, die meinen, ihre Wahrnehmung ist die einzig wahre, und das, was sie nicht kennen, wird abgelehnt. Die davon ausgehen, dass sie besser wüssten als du, wer du bist und was du brauchst.

Umgang mit Ignoranten

Bei solchen Menschen macht das Outen in der Regel wenig Sinn. Normalerweise gehe ich bei solchen Leuten auf Distanz. Wenn das nicht möglich ist, bleibe ich bei der Informationsebene meiner Bedürfnisse. So kann ich gut für mich sorgen. Mich muss und kann nicht jeder verstehen. Gerade wenn es um Menschen geht, die uns sehr nahestehen, neigen wir dazu, uns immer wieder zu erklären. Wir steigen immer wieder in die alte Arena, für den Kampf endlich gesehen zu werden. Dazu waren diese Menschen bis heute nicht in der Lage und werden es wahrscheinlich auch nie sein. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, der unendlich viel Kraft kostet.

Spare deine Kräfte für etwas Schönes

Ich lade dich ein, dir die Mühle anzuschauen. Vielleicht siehst du ihr an, dass sie in ihrem Leben so viel mitgemacht hat, dass sie nicht anders kann, als einfach nur dazustehen. Vielleicht erkennst du, dass ihre Flügel durch eigene Erfahrungen so lädiert sind, dass sie sich nur noch um sich selbst und für sich selbst drehen können, um nicht zusammenzufallen. Und dann schaue auf die schöne Landschaft drum herum. Du kannst an kargen Stellen noch weitere Blumen pflanzen. Den Kampf kannst du nicht gewinnen. Die Kraft, die du sparst, wenn du es nicht tust, kannst du für die schönen Dinge in deinem Leben nutzen.

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